2. Projektarbeit  •  Strategischer IT-Einsatz

 

I N T E R V I E W

Dominique Fritsche: df@wna.de

   Günter Urmann ist Assistent der Geschäftsleitung in der Atlantik Networxx AG und stand am 26. Februar 2002 Dominique Fritsche Rede und Antwort. Seit 1996 im Unternehmen, war Urmann während der letzten drei Jahre als Verantwortlicher mit der Implementierung eines neuen ERP-Systems betraut. Das folgende Interview geht auf die hierbei gemachten Erfahrungen ein. So sollen Gründe für den Einsatz von IFS, die technische Umsetzung und aufgetretene Schwierigkeiten genauer beleuchtet werden.

Günter Urmann

Günter Urmann (38) am Arbeitsplatz (Bild: Fritsche)

Beweggrund, Zeitrahmen, Kosten

[1] Weshalb wurde denn eine neue, moderne ERP-Software überhaupt erforderlich?

   »Anstoß war der geplante Börsengang an den Neuen Markt. Damit war eine Bilanzierung nach US-GAP und IRS (Anm.: international anerkannte Bilanzierungsvorschriften) zwingend notwendig. Unsere alte Software war dafür ungeeignet. Schnell war klar, daß ein zeitgemäßes ERP-System angeschafft werden mußte.«

[2] Konnten Sie den Zeitplan einhalten?

   »Unsere Planungen begannen bereits 1999. Im August 2000 fiel die Entscheidung zugunsten von IFS. Go-Live war geplant für den 01. März (Anm.: 2001). Unter anderem wegen der Faschingsfeiertage verzögerte sich der Start noch bis zum 01. April, also unwesentlich. Jedoch dauert die Implementierungsphase immer noch an. Ein bis anderthalb Jahre sind normal. Wir sind jetzt in einem Stadium, das ich als ›Feintuning‹ bezeichnen möchte.«

[3] Und blieben die Kosten ebenso im Rahmen?

   »Kann man so sagen: Faktor zwei.«

[4] Also das Doppelte des Voranschlags. Und wie teuer kam Ihnen IFS dann unterm Strich?

   »Eine Million D-Mark, inklusive Beratung und Service bei der Implementierung.«

Entscheidung

[5] Welche Faktoren gaben den Ausschlag zugunsten IFS?

   »Damals gab es etwa 50 ERP-Programme am Markt, allerdings größtenteils stark spezialisierte Anwendungen, etwa für Buchhandlungen oder Chemieunternehmen. Zu Beginn der Evaluierung stand für uns nur eines fest: Unsere künftige Sofware wird nicht SAP heißen. Wir betrachteten J.D. Edwards, Baan, Miracle (Anm.: in Insolvenz gegangen, siehe InfoWeek-Artikel), Softmatic, proALPHA – nichts innovatives, XR Systems – eine individuell programmierte Unix-Lösung. Navision war interessant, jedoch mehr für kleinere Unternehmen mit etwa 20 Nutzern ausgelegt. Die Performance, beispielsweise was die Datenbank angeht, setzte bei zirka 30 Usern Grenzen.«

[6] Wieviele Atlantik-Mitarbeiter greifen denn heute auf IFS zu?

   »Wir arbeiten mit 30 Lizenzen. Natürlich brauchen wir aber Spielraum für die Zukunft.«

[7] Warum stellte SAP von vornherein keine Alternative dar?

   »Zu teuer. Zu aufwendig. Damals, 1999, stand MySAP noch in den Startlöchern. SAP war eine, für einen Mittelständler nicht finanzierbare ERP-Software in Großunternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern. Zusammengefaßt verursacht SAP im allgemeinen hohe Folgeaufwendungen, wenn das System im laufenden Betrieb angepaßt werden muß.«

[8] Zum Beispiel?

   »Zum Beispiel, wenn eine neue Kostenstelle anzulegen ist, inklusive aller Verknüpfungen. In IFS geschieht das in knapp 15 Minuten; gegenüber etwa einer dreiviertel Stunde in SAP. SAP setzt viel Einarbeitung voraus, oder externes, teuer einzukaufendes Beraterwissen, wegen der umfangreichen Parametrisierung. Wir wollten Eigenständigkeit und Flexibilität.«

[9] Noch einmal zurück zum Auswahlprozeß. Was war denn Ihr persönlicher Favorit?

   »Baan. Aber genau zur damaligen Zeit begann die wirtschaftliche Talfahrt, und die Zukunft galt als ungewiß. Baan fiel somit bei unserer Geschäftsleitung in Ungnade.«

[10] Und wie kam es dann zu IFS?

   »Neben IFS und Baan stand nur noch J.D. Edwards in der engeren Wahl. Im Vergleich zwischen J.D. Edwards und IFS gab es qualitativ kaum Unterschiede. Je nach Kriterium lag mal die eine, mal die andere Software etwas vorne. IFS kostete allerdings nur die Hälfte.«

»Wir hätten mit der Mitarbeiterschulung eine Ebene tiefer ansetzten sollen.«

Günter Urmann

Umfang und Ausblick

[11] IFS ist rein modular aufgebaut. Mit welchen Module arbeitet Atlantik Networxx?

   »Wir arbeiten mit Front Office, Finanzbuchhaltung und Berichtsgenerator. Über eine Einführung von Logistik und Distribution sind wir uns einig.«

[12] Welche Module stehen sonst noch auf dem Wunschzettel?

   »Die Lohnbuchhaltung ist für einen zweiten Schritt vorgesehen. Gleiches gilt für CRM (Anm.: Customer Relationship Management): So haben zum Beispiel Kunden unserer Tochtergesellschaften verbesserte Konditionen in Aussicht gestellt, wenn wir ihnen unsere aktuellen Lagerbestände online verfügbar machen. Aber neben einem CRM-Modul von IFS gibt es ja noch Alternativen anderer Anbieter, um beispielsweise Prosa (Anm.: von Atlantik Elektronik eingesetzte CRM-Individualsoftware) abzulösen.«

[13] Gerade sprachen Sie bereits CRM an. Als Distributor müßte Atlantik Networxx die Entwicklung in den elektronischen Transaktionen doch besonders interessieren, Stichwort EDI und XML.

   »Neben den Softwarekosten für ein Modul sind erhebliche Investitionen in die Infrastruktur notwendig, damit unsere Kunden das Angebot nutzen können, und gleichzeitig ein adäquater Sicherheitsstandard gewährleistet ist: Firewall oder zusätzliche ausfallsichere Server sind da zu nennen. Ich schätze den Aufwand grob auf eine halbe Million Euro. Ansonsten böten wir jedem Hacker freien, unbefugten Zugang auf dem Serviertablett.«

[14] Sehen Sie für das Unternehmen Bedarf, später die elektronische Geschäftsabwicklung im Sinne eines Supply-Chain-Managements auch auf die Zuliefererseite auszudehnen?

   »Nein.«

Verbesserungen

[15] Zwar machte der IPO die neue Software notwendig, aber gewiß bot IFS darüber hinaus einiges an Verbesserungen im betrieblichen Ablauf.

   »Ja. Beispielsweise wurde früher die Schnittstelle zwischen Robin und Uniline befüllt und einmal am Tag entleert. Die Auftragsabwicklung erfolgt nun in Realtime, so daß etwa Kunden mit überschrittenem Kreditlimit sofort gesperrt sind.«

[16] Wie nutzen Sie Ihre Datenbasis als Informations- und Entscheidungsgrundlage für das Unternehmensmanagement, etwa im Forcasting?

   »Mit IFS-Berichtsgenerator; in unserem Generator, bei welchem wir darüber hinaus selbst Berichtsformen definieren können, beseitigt IFS momentan einen Bug, auf den meine Kollegin aufmerksam wurde. Gegenwärtig bestreiten wir das Forcasting über ein ›08/15-Cognos‹; zur Auswertung übertragen wir die Daten per Hand in Excel. Künftig wird uns Cognos-Powerplay über eine OLAP-Schnittstelle (Anm.: On-Line Analytical Processing) schnell, aktuell und vor allem die individuell benötigten Informationen liefern.«

»Mit dem Wissen von heute könnte ich die Software besser und schneller einführen – und zwar jede Software.«

Günter Urmann

Probleme

[17] Welche Probleme traten im Zuge der Einführung auf – zum einen, welche technischen Probleme, zum anderen, was die Akzeptanz der Mitarbeiter betrifft?

   »Ich würde es sogar in drei Gruppen unterteilen: Probleme mit der Hardware, mit der Software und zwischenmenschliche Probleme. Fangen wir mit dem einfachsten an …«

… und hören mit den zwischenmenschlichen Problemen auf?

   »Ganz genau. Also zunächst mal zur Hardware: Unsere Clients waren unterdimensioniert. Wir hatten bei IFS nachgefragt. Danach sollten Rechner mit 64 MB RAM und 300-MHz-Prozessor ausreichend sein. Tatsächlich konnte dann ab 800 MHz und 128 MB vernünftig gearbeitet werden. Weiterhin kämpften wir mit Abstürzen unseres Datenbankservers. Wir änderten schließlich den RAID-Level des Servers: Mit der von Oracle empfohlenen Konfiguration läuft das System seither stabil.

   Softwareseitige Schwierigkeiten: Das IFS-Programm auf unseren Mitarbeiterrechnern funktionierte anfangs nicht fehlerfrei. Durch einen Zufall kamen wir auf die Ursache: Bei einem defekten PC mußte die EDV-Abteilung sowohl das Betriebssystem als auch den IFS-Client neu aufspielen. Der lief dann problemlos. Auf all unseren Siemens-Rechnern war nämlich das Betriebssystem vorinstalliert, möglicherweise unsauber, so daß es offenbar auf Kriegsfuß mit der IFS-Software stand. Nachdem wir Windows auf allen Rechnern neu eingerichtet haben, gab es keine Komplikationen mehr.

   Zu den zwischenmenschlichen Problemen: Zum einen war IFS in der Beratungsleistung nicht immer so fit, wie wir uns das gewünscht hätten. Die unterschiedlichen Berater lagen in ihren inhaltlichen Stärken und Schwerpunkten weit auseinander. Kommunikation ist hier ein wesentlicher Punkt, und zwar nicht nur die Kommunikation zwischen IFS-Beratern und Mitarbeitern, sowie den Atlantik-Mitarbeitern untereinander, sondern auch zwischen den Beratern selbst. Für unsere Mitarbeiter kam der Umstieg von einer kommandozeilenorientierten Terminalemulation, in dem alles über die Tastatur lief, auf eine Windowsoberfläche mit Icons und Mausbedienung hinzu. Selbst wenn diese Kenntnisse für viele Anwender noch so banal erscheinen mögen, profunde Betriebssystem-Kenntnisse dürfen nicht als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden. Wir hätten mit der Mitarbeiterschulung eine Ebene tiefer ansetzen sollen. Auch fällt es einigen Kollegen schwer, sich von jahrelang praktizierten Workarounds zu lösen, die bei unserer alten Software erforderlich waren. Zum Beispiel wenn sie, statt in IFS integrierte, effektive Auswertungsfunktionen zu nutzen, noch immer die Daten in Excel übertragen.«

[18] Wie werten Sie Kritik der Mitarbeiter an IFS?

   »Wenn zu Beginn immerzu etwas nicht funktioniert, dann bereitet es einfach Verdruß. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Viele Mitarbeiter sagen dann: ›Mit der alten Software war alles besser.‹ Ich glaube auch deshalb, weil kaum jemand von uns mehr miterlebt hat, wie vor mehr als zehn Jahren vom Papierbüro auf Uniline gewechselt wurde. Die Schwierigkeiten waren damals ganz bestimmt nicht kleiner.«

Empfehlung

[19] Welchen Ratschlag können Sie abschließend anderen Unternehmen geben, die eine Einführung eines ERP noch vor sich haben?

   »Erstens: Den Aufbau mit dem Buchungssystem als zentraler Schnittstelle des ERP beginnen. Das muß hundertprozentig funktionieren, dann können andere Softwareteile, wie die Auftragsabwicklung und die sonstigen Module, daran angepaßt werden. Leider geht man die Sache meist falsch herum an.

   Zweitens: Kommunikation im Unternehmen. Wichtig ist ein Team, das sich regelmäßig etwa eine halbe Stunde an einem Wochentag im Meeting trifft, um Probleme zu besprechen und Lösungen zu suchen. Und die Ziele nur in kleinen Schritten angehen! Das heißt, sich zu fragen, welches kleine, spezielle Detail in den nächsten Tagen, in der nächsten Woche angegangen werden muß. Langfristige Planungen über Monate hinweg und mit zu ehrgeizigen Zielen scheitern oft und bleiben ergebnislos …«

… mir scheint, mit Ihren Erfahrungen könnten Sie ganze Bücher füllen.

   »Ja, in der Tat, was möglicherweise aber daran liegt, daß schief geht, was schief gehen kann. Mit dem Wissen von heute könnte ich die Software besser und schneller einführen – und zwar jede Software.«

Herr Urmann, vielen Dank für das ausführliche, keineswegs humorlose Gespräch!
 

Kontakt

   Günter Urmann
   Assistent der Geschäftsleitung
   c/o Atlantik Networxx AG
   Tel.: 089-89505-146
   Fax: 089-89505-100
   E-Mail: g.urmann@atxx.de
 

© 2002, März | Fritsche verantwortlich

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